Zum Thema meiner Dissertation: Ein digitaler Wandel der SPD?
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Meine Dissertation behandelt den digitalen Organisationswandel der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Analytisch begleite ich darin den Einführungsprozess digitaler Kommunikations- und Beteiligungsinstrumente nach der Bundestagswahl 2017 bis zum Bundesparteitag 2019. In diesem Zeitraum wurden z.B. Online-Umfragen, ein Messenger-Kanal (zunächst WhatsApp, später Telegram) und ein digitales „Debattenportal“ eingeführt, was künftig zu „Online-Themenforen“ weiterentwickelt werden soll.
Zentrales Erkenntnisinteresse der Dissertation ist, was die Einführung dieser digitalen Technologie für die SPD bedeutet. Es lässt sich übersetzen in drei Fragen nach
- dem Ziel und dem Zweck der Einführung digitaler Instrumente,
- den Entscheidungswegen bei der Einführung digitaler Instrumente und
- der Rolle des gesellschaftlichen Wandels und der Lage der Partei.
Die Dissertation vollzieht einen Blick in die Partei hinein und spürt den komplexen Austausch- und Entscheidungsprozessen zwischen den verschiedenen innerparteilichen Akteuren der SPD nach. Der Fokus liegt dabei auf der Wahrnehmung der Lage der Partei durch die (in Teilen erneuerte) Parteispitze nach der Bundestagswahl 2017 und ihre Initiativen zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit der Partei. Bemerkenswert war zu diesem Zeitpunkt insbesondere der Ruf des Generalsekretärs Lars Klingbeil nach mehr Beteiligung und mehr Digitalisierung in der SPD, der den Auftakt zu einer zweijährigen Organisationsreform bildete.
Zum Kontext: Die Gesellschaft digitalisiert sich, die SPD reformiert sich
Im Hintergrund der Studie stehen außerdem drei Beobachtungen begleitender Entwicklungen, die die Dissertation an weitere aktuelle Fragestellungen anbinden:
- Die digitale Gesellschaft
- Die Frage nach der innerparteilichen Demokratie
- Die Lage der SPD
Erstens geht es um die Beobachtung einer immer digitaler werdenden Gesellschaft. Für mehr und mehr Menschen sind digitaler Austausch, digitale Vernetzung und digitale Selbstvermarktung, digitale Arbeit und der digitale Ausdruck von Meinungen zum Alltag geworden. Dazu gehörten leider von Anfang an auch digitale Angriffe, Mobbing, Beleidigung und Zerstörung von Diskussionskultur. Außerdem ist die Digitalisierung der Gesellschaft noch immer sehr ungleich verteilt. Wie digitalisiert die SPD vor diesem Hintergrund ihre internen Strukturen? Wie werden neue Kommunikations- und Arbeitsprozesse umgesetzt? Wo werden Chancen, wo Risiken für die Ziele der Partei gesehen? Die Initiativen seit 2017 sind dabei nicht neu, sondern bauen auf verschiedene digitale Experimente der SPD seit Mitte der 1990er Jahre auf – wie dem virtuellen Ortsverein im Jahr 1998 oder dem Online-Antrag 2011.
Zweitens nimmt die Dissertation die wissenschaftliche und mediale Kritik an mangelhaften Strukturen der Mitbestimmung für Parteimitglieder in den Blick. Wenn Parteien laut Grundgesetz innerlich demokratisch organisiert sein sollen, sind digitale Instrumente dann eine Möglichkeit, dies nach neuem Ablauf zu verwirklichen? Einen Versuch in diese Richtung unternahm vor ca. zehn Jahren bereits die Piratenpartei, als sie mit ihrem digitalen Diskussions- und Entscheidungssystem „Liquid Feedback“ experimentierte, das einen neuen Mittelweg zwischen repräsentativer und direkter Demokratie aufzeigen sollte. Obwohl die Piraten wieder aus den Parlamenten und der medialen Aufmerksamkeit verschwanden, werden ihre Ideen weiter diskutiert. Inwiefern können digitale Debatten und digitale Entscheidungen in Parteien nachhaltig erfolgreich sein? Entsteht ein neues Modell der innerparteilich-digitalen Demokratie? Bietet es mehr Mitsprache für einfache Parteimitglieder? Verändern digital geführte Diskussionen die Willensbildung und Entscheidungsfindung der Partei?
Drittens und nicht minder bedeutsam für die Dissertation ist die aktuelle Lage der SPD. Gerade der größten und zugleich ältesten Volkspartei Deutschlands wird immer wieder Unwille oder Unfähigkeit zur internen Veränderung und zukunftssichernden Reformen vorgeworfen. Außerdem scheint die SPD besonders von der „Krise der Parteien“ mit schwindenden Wählerstimmen und sinkenden Mitgliederzahlen betroffen zu sein. Medial wird sogar eine Art Dauerkrise diagnostiziert. In dieser Kombination ist der Fall SPD besonders interessant: Was bedeuten digitale Instrumente für Gegenwart und Zukunft der SPD? Inwiefern interpretiert die Partei ihre Lage überhaupt als „krisenhaft“? Und inwiefern werden digitale Instrumente als Lösung dieser scheinbaren Krise gesehen, z.B. über eine verbesserte Außendarstellung oder direkteren Kontakt zu den Bürger*innen?
Zur Methodik: Qualitative Sozialforschung nah am Gegenstand
Auf diese und weitere Fragen findet meine Dissertation mit Hilfe eines qualitativen methodischen Ansatzes Antworten. Dafür wurden zahlreiche Interviews mit Entscheidungsträger*innen und deren Mitarbeiter*innen an der Parteispitze und auf der mittleren Funktionärsebene der SPD geführt, Parteidokumente wie Parteitags- und Vorstandsbeschlüsse, Videos und Podcasts ausgewertet und zusätzlich zahlreiche Hintergrundgespräche mit SPD-Mitgliedern am Rande von Veranstaltungen, besonders auf dem SPD-Bundesparteitag 2019 in Berlin geführt.
So bietet die Dissertation einen seltenen Einblick hinter die Kulissen der Parteiorganisation und liefert neue Erkenntnisse über die Motive und Einstellungen der SPD-Parteispitze in Bezug auf die Bedeutung digitaler Technologie für die Zukunft der SPD und ihre Funktion für die deutsche Demokratie.
Die Dissertation ist unter dem Titel „Digitaler Wandel in der SPD“ 2021 bei Springer VS erschienen (ISBN 978-3-658-35516-6; DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-35517-3).